Stuttgart, Demo am 12.06.2010
Sonntag, 13. Juni 2010 13:18
Die gestrige Demo hat mich wieder am Boden zerstört. Wie zerspalten, zersplittert die linken Kräfte sind, habe ich bisher vollkommen unterschätzt. Da gibt es weit mehr Gruppen, Parteien, Strömungen, als mir bislang bekannt waren!
Erfreulich: ich habe ein paar gute Gespräche gehabt, bin auf einzelne Menschen zugegangen und habe gefragt. Die meisten reagierten freundlich und offen.
Da waren am Bahnhof 2 Jugendliche, die hatten eine zusammengerollte rote Fahne bei sich, die mich interessierte. Ich sprach sie geradeheraus an und fragte, was das für eine Fahne und wer sie seien. „Wir sind von den Jusos – und wer bist Du?“ Dann sagten sie schnell – wir sind links, wir sind sehr links, wir wollen den Sozialismus. Meinen Einwand, daß die SPD derzeit eher rechts als Mitte ist, bestätigten beide. – Jaaa, mit dieser Politik der Parteimasse haben wir nichts am Hut! – Warum sie sich denn die SPD ausgewählt hätten, wenn sie links seien? – Wir haben uns an den Programmen orientiert. – Ach so, ihr wollt die SPD wieder nach links, eher Mitte rücken? Auch dann will sie ja nicht den Sozialismus. – Doch, das schaffen wir! Wir wollen den Sozialismus – und mein Kumpel, der eine zeigte auf den anderen, wird mal Bundeskanzler. Ich lächelte – dann gebt mal bescheid, ich werde ihn wählen – und verabschiedete mich. „man wird sich sehen“ sagten beide.
Dann begab ich mich zur Demo selbst. Inmitten von Verdi-Fahnen und Fahnen der Partei Die Linke fühlte ich mich nicht wohl, ging weiter nach vorn. Ja, das gefiel mir schon eher! Da war Temperament – griechische Linke, auch von der KKE, türkische Mitbürger und viele Jugendliche, die ich der anarchosyndikalistischen Szene zuordnen würde. Ich lief hinter ihnen, da gab es Sprechchöre, ab und zu rannten sie ein paar Meter. Da war linkes Leben! Für mich hat Klassenkampf, Arbeitskampf, auch sehr viel mit Emotionen zu tun – es ist Herzenssache!
Die meisten Demonstranten mit Fähnchen und Transparaenten von Verdi, „Die Linken“, DKP – war zahlenmäßig stark vertreten, MLPD – zahlenmäßig nicht gar zu viele, aber die fallen alle auf, weil wirklich jeder mindestens eine Fahne oder ein Transparent hält. Mich würde nicht wundern, wenn sie (Mitglieder der MLPD) demnächst beidhändig Fahnen und Transparente trügen, dann fielen sie noch mehr auf… Also: alle genannten waren hauptsächlich ältere Genossen, so wie ich und älter, keine Jugend! – Verständlich, so emotionslos, so gleichgültig, wie die sich auf der Demo bewegen, die strahlen ja schon aus, daß sie zum Bäume ausreißen nicht mehr in der Lage sind! – Deren Anteil ist: in Ruhe seitenlange Texte zu verfassen, wer wir sind, was wir wollen, was Marx, Lenin & Co schrieben, um zu bekunden: wir haben sie gelesen (unter „verstehen“ verstehe ich mehr Praxis, weniger Zitate).
Ich sprach mit verschiedenen Leuten von den DKP – ob ihnen bewußt wäre, wie zerspalten die Linken seien, man müsse sich zusammenfinden – Ja, da hast Du recht, ABER… wir haben den Führungsanspruch, wir gehen mit den Inhalten der anderen nicht mit! Auf die neuerlichen Thesen der Parteiführung der DKP regierten alle entschieden ablehnend und winkten ab – das sei doch alle nicht ernst zu nehmen.
Ein anderes Gespräch mit einem Genossen von der „kommunistischen Arbeiterbewegung“ – nein, er rücke von seiner Position nicht ab. er habe mit all den anderen Linken nichts gemein! Ich fragte, ob es nicht an der Zeit wäre, das Verbindende zu sehen und nicht das Trennende stets vorzukehren, denn so erreiche man wahrlich gar nichts? Zumindest schaute er mich auf einmal sehr nachdenklich an und gab mir recht. Nachdenken ist doch schon mal ein Anfang!
Ganz begeistert war ich von einem kurzen Gespräch mit einem griechischen Kommunisten von der KKE! Der war auch nicht mehr der Jüngste, aber der lebte – und wie! Ich sagte zu ihm: „Von Euch können nicht nur die Deutschen einiges Lernen!“ und daß sich die linken Kräfte international vereinen müßten, die Zeit verlange ein agieren über die Grenzen hinaus. Ja klar, wie soll das funktionieren, wenn man sich innerhalb des Landes nicht einig ist?
Natürlich habe ich allen, mit denen ich kurz sprach kleine Flyer von der KI (Kommunistische Initiative) in die Hand gedrückt und gebeten, sie mögen mal auf die Internetseite schauen und drüber nachdenken.
Dadurch, daß bei den vor mir laufenden Demnonstranten viel Leben war, liefen dort ab und an mehr Polizisten nebenher. Immer wieder versuchten Reiter, den Demonstrationszug zu stören – sie ritten mehrmals einfach quer durch die Reihen, von links nach recht, von rechts nach links… Ein Spruch gefiel mr gut, ließ mich direkt lachen: „Reiter auf die Erde, Freiheit für die Pferde!“. So etwas belebt.
Links am Straßenrand standen 5 Polizisten. Urplötzlich griffen sie 2 Reihen vor mir scheinbar wahllos in die Menge und zerrten einen Demonstranten raus (vermutlich einen Griechen oder Türken). Ich begriff gar nicht, was da geschah – der lief die ganze Zeit mit den anderen, Sprechchöre rufend im Demozug. Mein Temperament ging mit mir durch – ich ging zu den Polizisten, fragte recht laut (meine Stimme versagte vor Aufregung), warum sie derart provozieren, der Mann habe doch nichts getan, was das solle, ob sie keinen Bock auf diesen Dienst hätten und jetzt ihren Frust abladen müßten. Ich sprach gegen Menschen aus Stein. Der Mann durfte weitergehen, nachdem seine Personalien aufgenommen wurden.
Am Schloßplatz blieb ich noch bis ca. 12:30 Uhr, ging dann nach Hause. Vom Eierwerfen habe ich leider nichts mehr mitbekommen.
Es ist einfach ein Dilemma, ein linkes politisches Trauerspiel, was derzeit in Deutschland auf dem Spielplan steht. 10,20 oder gar 30 schwache Fingerchen, die alle für sich agieren, alle alleinigen Anspruch erheben, den wahren Sozialismus aufbauen zu wollen, sich ihrer Hand nicht bewußt sind, sonst würden sie sich gemeinsam zur Faust ballen und endlich stark sein.
Thema: Aktuelle Politik | Kommentare (3)