Mittwoch, 20. Januar 2010 15:26
Es war 19989/90, die so genannte „Wende“. Menschen gingen auf die Straßen die Führungsspitze der SED erwies sich in dieser Situation als handlungsunfähig, verbarrikadierte sich mit Personenschutz hinter ihren Schreibstischen, auf den man eine Pistole legte (zumindest in Halle/Saale war das so), bevor sie gänzlich verschschwand.
Ich war zu diesem Zeitpunkt das dritte Jahr in der SED-Stadtleitung als politische Mitarbeiterin tätig, war zuständig für den Stadtbezirk Halle-Süd. Ich besuchte ein letztes Mal die aufgebrachten und ratlosen Arbeiter und Angestellten in den Betrieben – und wurde von ihnen nicht ausgepfiffen oder beschimpft, sondern mit Beifall verabschiedet. Niemand vom Parteiapparat außer mir wagte sich sonst noch in dieser Zeit in die Öffentlichkeit.
Auf einmal tauchten in der Bezirks-und Stadtleitung Halle junge, gänzlich unbekannte Genossen auf. Einer davon, Roland Claus, stellte sich als neuer 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle vor. So quasi einfach eingesetzt. Von wem? Er war bis dahin hauptamtlich im Zentralrat der FDJ und hatte sich wohl auf diesen Tag vorbereitet. Seine Reden waren so fern jeglicher Realität… aber voller Überzeugung „Ich sage jetzt, wo es langgeht“.
Als die Massen auf den Straßen an den Montagen zunahm, sah man auch Roland Claus dort. Er schaute schweigend zu, wenn sich ein paar mutige Genossen an den offenen Diskussionen beteiligten, ans Rednerpult gingen und von den Massen beschimpft und beleidigt wurden. Ein Roland Claus gab sich nicht zu erkennen. Er entwickelte vermutlich ein Gefühl für die Massen.
Ich stellte ihn zur Rede, fragte ihn, warum er nicht für seine Genossen eintritt, da zitierte er mich zu sich, um mir zu drohen. Er wollte mich einschüchtern. Ach ja, das hatten vor ihm schon ganz andere versucht… Schon ein knappes Jahr wurde mein Telefon abgehört, wurde ich auf Schritt und Tritt beobachtet, wer mich besuchte, wen ich traf… Waren es männliche Personen, rief man deren Frauen an… Ich hatte Aussprachen vor dem Sekretariat standgehalten und wich nicht einen Millilmeter von meiner Einstellung und Überzeugung ab. Ich wagte es doch tatsächlich, die politische Arbeit der Stadtleitung, und gar der Bezirksleitung zu kritisieren! Man hatte ein Parteiverfahren vorbereitet, um mich aus dem Parteiapparat und der Partei selbst zu werfen, aber just in diesem Moment las man im ND von Egon Krenz etwas von einer „Wende“, von Veränderungen. Da war man sich unschlüssig, bezüglich meiner Person und wollte abwarten. Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Das Bild auf den Straßen wandelte sich: immer mehr wurde es an den Montagen von der rechten Szene bestimmt. Mit Springerstiefeln marschierte man durch Halle – in vorderster Reihe lief doch tatsächlich immernoch Roland Claus mit – auch gekleidet mit Lederjacke und Lederstiefeln – man durfte ja nicht unangenehm auffallen. – Zu dieser Zeit organisierte sich eine separate Demo gegen diese gewaltbereiten Rechten, blieben immer mehr Leute zu Hause, die DAS doch nie beabsichtigt hatten, man wollte doch nur Verbesserungen.
Ich wollte weiter aktiv sein, für den Erhalt der DDR und für Veränderungen. Nur Ratten verlassen das sinkende Schiff.
Einmal wöchentlich fand sich die „Vereinigte Linke“ zusammen. Ich ging jedesmal hin, beteiligte mich an den Diskussionen. Manchmal entdecke ich nur 2 Reihen vor mit Roland Claus und Petra Sitte schweigsam sitzen. Beide beobachteten nur, wollten gesehen werden, denn schon wurden die ersten Wahlen vorbereitet.
Einmal besuchten ein paar Leute von der MLPD aus den alten Bundesländern die Vereinigte Linke in Halle. Verständnislos über unsere Probleme meldeten sie sich zu Wort: Wir würden die wichtigsten Themen nicht diskutieren. Zum Beispiel vermissen sie, warum wir nicht die Abschaffung des Geldes fordern. Ich erwiderte ihnen: solche Leute hat es schon einmal gegeben, fernab jeglicher Realität, sie gingen als „französiche Utopisten“ in die Geschichte ein und allesamt unter.
Daraufhin meldeten sich nach der Diskussion bei mir 2 junge Leute aus Halle. Sie wären dabei eine neue Partei zu gründen „Die Nelken“ – ob ich da mitmachen würde und sie bräuchten Hilfe, um ein Programm auszuarbeiten. Ich half ihnen beim Programm, hauptsächlich beim witschaftlichen Teil, gab ein paar Tipps, war aber nicht gewillt, aktiv mitzuarbeiten. Ich wollte mich engagieren, die SED von Grundauf neu und besser zu gestalten.
Also stellte ich mich in meinem Stadtbezirk für meine Partei für die Wahlen 1990 zur Verfügung. Ich erhielt 92 % der Stimmen und jeder wünschte, ich möge mich weiterhin so für andere einsetzen und engagieren. Die Genossen kannten mich ja schon geraume Zeit und vertrauten mir. Ich sollte, wenn möglich, als Abgeordnete der Partei tätig werden.
Bei den Vereinigten Linken riet ich, man solle seine Stimme der nun in PDS umbenannten SED geben, um wenigstens eine Opposition abzusichern und weil es derzeit keine Alternative bei uns gäbe. Ich erwartete, rausgeworfen zu werden, aber nein, mein Beitrag wurde mit Beifall honoriert. Roland Claus und Petra Sitte saßen vor mit, hatten sich umgedreht und mich mit großen Augen angesehen, was ich mir da getrauen würde. Sie selbst schwiegen, wie immer.
Roland Claus lud die Genossen zu einer Versammlung zur Wahlvorbereitung ein – eine Liste der Linken für die Wahlen wurde vorgestellt. Und es sollten Teilnehmer für die Delegiertenkonferenz der PDS gewählt werden. Ein Getreuer von Roland Claus ging durch die Reihen und flüsterte jedem zu „Es darf nicht passieren, daß Roland Claus nicht gewählt wird“. Ja, wo sind wir denn hier? Wo gibt es denn sowas? immernoch dasselbe, wie früher, nichts dazugelernt?
Neben ihm vorn saß Petra Sitte, die bis dahin an der Uni Halle war. Ich kannte sie vom Sehen von den Vereinigten Linken, immer neben Roland Claus, erfuhr aber erst jetzt, wer sie ist.
Die Liste der gewählten Genossen für die bevorstehenden Wahlen 1990 wurde verlesen. Viele Anwesende schauten sich verwirrt an. Wer waren die Personen, die da genannt wurden? Für meinen Stadtbezirk tauchte der Name „Petra Sitte“ auf. Ich meldete mich zu Wort: Ich sei von diesem Stadtbezirk und man hatte mich mit 92 % der Stimmen gewählt. Zwar hieße ich auch Petra, aber eine Petra Sitte sei nie bei unseren Versammlungen gewesen. Es wurde unruhig im Saal immer mehr standen auf und bestätigten, daß auch bei Ihnen andere Genossen gewählt worden waren, als hier verlesen wurden.
Ich widersprach der Grundaussage des Referates, wieder fernab jeglicher Realität, von Roland Claus, daß die DDR-Produktion so stark sei, daß sie vergleichbare Westunternehmen abservieren würde, aus dem Konkurrenzkampf siegreich hervorgehen würden. Ich legte dar, daß die Betriebe der DDR keine Überlebenschance hätten, diese gar nicht bekämen, man würde sie schließen, sie würden nicht gebraucht, man brauche nur Absatzmärkte. Ein letztes Mal legte ich meinen Standpunkt dar, daß ich mich von solchem Geschwafel und den Machenschaften bezüglich der Wahl-Kandidaten distanziere und diese Veranstaltung sowie die Partei überhaupt verließe. Jetzt wurde ich von den Anwesenden gebeten, ich möge bleiben, mich würde man wählen wollen, nicht das Spiel von Roland Claus unterstützen. Trotz großen Beifalls und dieser überwältigenden Unterstützung begriff ich, daß sich nichts ändern würde in dieser Partei. Es waren nur die Gesichter ausgetauscht, kein Gedanke, aus den Fehlern gelernt zu haben. Mir wurde klar, daß man anstelle der Gründung einer neuen Partei die SED nur umbenannte, um die Masse der Mitglieder, die zahllosen Rentner, nicht zu verlieren. In eine neue Partei wären nur Vereinzelte eingetreten.
Gesagt, getan, noch den Applaus in den den Ohren, die Beschwörungen, Genossen wie ich würden gebraucht werden, verließ ich diese Veranstaltung. Tränennaß lief ich durch die Straßen nach Hause. Mir war klargeworden, daß ich nicht nur die politische, nein meine Heimat überhaupt verlieren würde, weil es Leute gab, denen es nicht um die Sache ging, sondern nur sich selbst ins Sichere bringen wollten, umgeben mit getreuen Speichelleckern die es überall gibt.
1990 saß ich das erste und letzte Mal für die Partei im Wahllokal. Neben mir saß Peter Sodann, damals Intendant des Neuen Theaters, im Wahllokal. Jeden Wähler, der an ihm vorbeikam bat er: „Wählen sie die richtige Partei!“ – welche die richtige sei, sagte er nicht.Das Ergebnis am Ende war niederschmetternd: CDU. Eine Frau, die bei der Auszählung zuschaute, sagte: klar, ich habe auch die CDU gewählt – Bayern ist das reichste Bundesland, dort ist das meiste Geld, durch die CDU wird es uns besser gehen. Diese Frau war wenigstens ehrlich. Sonst hat ja niemand die CDU gewählt.
Die Wahlen entschieden gegen den Fortbestand der DDR – Roland Claus und Petra Sitte wurden Abgeordnete. – Wer unterstützte diese Machenschaften? Welche Kraft arbeitete da im Hintergund und zog die Fäden?
Besagter Roland Claus entschuldigte sich im Bundestag bei Bush, weil ein Genosse seiner Partei ein Plakat „Kein Krieg“ hochgehalten hatte.