Parteiapparat
Nein, ich wollte niemals in den Parteiapparat. Wenn ich mir anschaute, was da zum Teil für Leute saßen, dazu wollte ich nicht gehören! Es waren die „Aparatschniki“, vor denen Lenin warnte. Außerdem hatte ich eine Arbeit die ich über alles liebte, die mich täglich neu herausforderte, und ich hatte unglaublich tolle Arbeitskollegen, sie unterstützten mich selbst in privaten Dingen, als ich nach meiner Scheidung mit meinen Kindern allein lebte, halfen mir beruflich, mich in die EDV-Problematik einzuarbeiten, beantworteten mir meine schier unerschöpflichen Fragen. Selbst bei Versammlungen, wenn ich wieder mal Probleme ansprach, baten sie mich inständigst, ich möge dieses Mal ruhig sein – ich konnte es nicht. Sie organisierten es für meine Kinder, daß ich fast immer Frühschicht hatte. Ganz einfach: Kollegen, auf die ich mich jederzeit verlassen konnte. Das wollte ich niemals aufgeben!
Von 1981 bis 1994 lebte ich mit meinen beiden Kindern allein, absolvierte ein Fernstudium, hielt Lehrgänge in Assemblerprogrammierung und Betriebssystem für internationale Techniker von ESERII-Anlagen und hatte Kollegen an der Seite, die mir immer und überall halfen, mich so selbstlos unterstützten, als ich mich in diese Tätigkeit einarbeitete. Ohne diese Kollegen hätte ich meine Aufgaben nie geschafft!
Dann trat die Parteileitung von Robotron an mich heran, man hätte Anderes mit mir vor – ich solle die Bezirksparteischule besuchen. Spontan lehnte ich ab. Ich erzählte Studienkollen vom Fernstudium davon und ich – niemals! Meine Kommilitonen schauten mich ernst an und sagten: Petra, weil Leute wie Du es ablehnen, wird sich niemals etwas ändern. Nur deshalb können sich solche Aparatschniki ausbreiten. Du könntest etwas ändern, Du bist anders, aber Du lehnst es ab.
Lange dachte ich über diese Worte nach. Dann sagte ich mir: Recht haben sie! und besuchte die Bezirksparteischule in Leipzig. Von da an mußte ich meinen Weg konsequent allein bestreiten. Das war mein Preis, den ich zahlen mußte.
Zum Abschluß des Jahres in der Bezirksparteischule wurde mit jedem ein Gespräch geführt. Ich traute meinen Ohren nicht, als man mir sagte: „Petra, Du bist immer für die Schwachen und Kranken da. Wir sind aber eine Partei der Starken und gesunden!.“ Habe ich mich verhört? Es ging weiter: Wir haben gehört, daß Du mit Deinen Kindern in einer winzigen Wohnung wohnst, die nicht recht warm wird. Jetzt, wo Du im Parteiapparat tätig sein und repräsentieren wirst, sollst Du eine bessere Wohnung bekommen.
Ich konnte nicht mehr still sein: „Nur, weil ich jetzt die Bezirksparteischule abgeschlossen habe, wollt Ihr mir Vorteile einräumen? Wo leben wir denn?! Wißt ihr, wie viele Menschen es gibt, die noch viel schlechter leben als ich? Wer hilft denen? Nein, das lehne ich ab!.“ Die Gesichter sehe ich noch heute vor mir! Aber wenigstens blieb ich mir selbst treu, denn darum ging es ja! Eigenlich wolte ich nach der Bezirksparteischule wieder zu meinen Kollegen und meine Tätigkeit als Lehrkraft ausüben. Doch ich hatte darüber kein Entscheidungrecht mehr, andere entschieden über meinen Werdegang.
So wurde ich hauptamtlich als stellvertretende Parteisekretärin im Robotron Anlagenbau Leipzig eingesetzt. Es folgte eine für mich schreckliche Zei. Über mir thronte ein Parteisekretär, der jede Frau nur als Sexobjekt betrachtete, er demütigte mich, mir wurde untersagt, meine Kollegen am Arbeitsplatz zu besuchen. Nach 2 Wochen wurde ich das erste mal vor das Sekretariat der Stadtbezirksleitung geladen. Ich hatte es gewagt, die Art und Weise der Schulung der Parteisekretäre zu kritisieren, in der nur Zeitungsartikel vorgelesen wurden. Ich sagte: Statt die Artikel vorzulesen, sollte man doch davon ausgehen, daß wir alle selbst lesen können und gleich mit einer Diskussion beginnen. Es gäbe doch genügend Probleme zu diskutieren und zu lösen.
Vor dem Sekretariat wollte man mich „zusammenbügeln“ und mir sagen, wie ungehörig ich mich aufgeführt hatte. Alle zur Schulung anwesenden Parteisekretäre hätten sich über mich beschwert, wie ich eine solche Kritik anbringen könne. „Ach,“ sage ich „mir haben sie etwas ganz anderes gesagt! Daß sie froh seien, daß endlich mal jemand den Mund aufmachte.“ „Darauf bist Du wohl auch noch stolz? Uns haben die Parteisekretäre etwas ganz anderes gesagt.“ fragte man mich barsch. „Dann solltet ihr die Ehrlichkeit Eurer Parteisekretäre überdenken. Wenn ich auf etwas stolz bin, dann auf meine Ehrlichkeit, ja!“
Die Fronten waren geklärt. Mir der Zeit gewann ich die Anerkennung und Achtung so mancher Hauptamlicher im Sekretariat. Doch hatte ich immernoch diesen unerträglichen Parteisekretär über mir, mit dem ich beim besten Wille nicht klarkam, nicht als Mensch, schon gar nicht als Frau.
Ich bat um Versetzung und wechselte in die Stadtleitung Halle. Auch dort hatte ich nach 2 Monaten die erste Aussprache vor dem Sekretariat, auch danach brachte man mir mehr Achtung entgegen. Man legte mehr und mehr wert auf mein Wort; sie wußten, daß ich ehrlich und aufrichtig war und den Finger auf dem wunden Punkt hatte, ob es angenehm war, oder nicht. Je mehr die Wendezeit näherrückte, desto unbequemer wurden jedoch meine Worte. Man ließ mich im Urlaub von dubiosen Typen ansprechen, die vorgaben, sich in mich verliebt zu haben und mich ausfragten bezüglich der Bürgerrechtler, die sich organisierten. Man hatte tatsächlich den Verdacht, daß ich dort federführen beteiligt sei! Ich kannte keine Bürgerrechtler, trotzdem wurde ich fortan ständig beschattet, mein Telefon abgehört, meine Kontakte registriert. Das begann noch vor den ersten Montagsdemos in Halle, die weit später einsetzten als die in Leizig. Bals wußte ich nicht mehr, wem ich vertrauen konnte, wem nicht. Aber was solls, dachte ich, ich habe nur eine Meinung und demzufolge nichts zu verbergen.
Zusammen mit einer Genossin wurde ich ins Kabarett zu einer Vorstellung geschickt. Wir sollten Buh-Rufen und die Vorstellung stören. Das Programm der Kabarettisten war prima, lebhaft spendeten wir lachend Beifall.
Wenn ich etwas anfange, führe ich es konsequent weiter. Das ist meine Art. Also beantragte ich einen Studienplatz an der Parteihochschule. Oh, das war kritisch – jemanden wie mich, so eine unbequeme Person… wer weiß? Unerwartet riefen Genossen der Stadtbezirksleitung von Leipzig beim ersten Sekretär der Stadtleitung Halle an, erkundigten sich nach mir und legten ihm nahe: es wäre schade, wenn diese Genossin nicht gefördert werden würde. Schau an, man erinnerte sich noch an mich? Das sprach sich herum und erreichte auch die Bezirksleitung Halle. Und so durfte ich im Sommer 1989 ein Studium an der Parteihochschule Berlin beginnen. Man legte mir nahe, meine Kinder in ein Internat zu geben, um ein Direkstudium zu beginnen. Das lehnte ich ab: „Ich schaffe alles mit meinen Kindern – nichts schaffe ich ohne sie!“
Die erste Veranstaltung in Berlin: Eröffnung des Studienjahres. Darüber das nächste Mal.