Stuttgart, Demo am 12.06.2010
Die gestrige Demo hat mich wieder am Boden zerstört. Wie zerspalten, zersplittert die linken Kräfte sind, habe ich bisher vollkommen unterschätzt. Da gibt es weit mehr Gruppen, Parteien, Strömungen, als mir bislang bekannt waren!
Erfreulich: ich habe ein paar gute Gespräche gehabt, bin auf einzelne Menschen zugegangen und habe gefragt. Die meisten reagierten freundlich und offen.
Da waren am Bahnhof 2 Jugendliche, die hatten eine zusammengerollte rote Fahne bei sich, die mich interessierte. Ich sprach sie geradeheraus an und fragte, was das für eine Fahne und wer sie seien. „Wir sind von den Jusos – und wer bist Du?“ Dann sagten sie schnell – wir sind links, wir sind sehr links, wir wollen den Sozialismus. Meinen Einwand, daß die SPD derzeit eher rechts als Mitte ist, bestätigten beide. – Jaaa, mit dieser Politik der Parteimasse haben wir nichts am Hut! – Warum sie sich denn die SPD ausgewählt hätten, wenn sie links seien? – Wir haben uns an den Programmen orientiert. – Ach so, ihr wollt die SPD wieder nach links, eher Mitte rücken? Auch dann will sie ja nicht den Sozialismus. – Doch, das schaffen wir! Wir wollen den Sozialismus – und mein Kumpel, der eine zeigte auf den anderen, wird mal Bundeskanzler. Ich lächelte – dann gebt mal bescheid, ich werde ihn wählen – und verabschiedete mich. „man wird sich sehen“ sagten beide.
Dann begab ich mich zur Demo selbst. Inmitten von Verdi-Fahnen und Fahnen der Partei Die Linke fühlte ich mich nicht wohl, ging weiter nach vorn. Ja, das gefiel mir schon eher! Da war Temperament – griechische Linke, auch von der KKE, türkische Mitbürger und viele Jugendliche, die ich der anarchosyndikalistischen Szene zuordnen würde. Ich lief hinter ihnen, da gab es Sprechchöre, ab und zu rannten sie ein paar Meter. Da war linkes Leben! Für mich hat Klassenkampf, Arbeitskampf, auch sehr viel mit Emotionen zu tun – es ist Herzenssache!
Die meisten Demonstranten mit Fähnchen und Transparaenten von Verdi, „Die Linken“, DKP – war zahlenmäßig stark vertreten, MLPD – zahlenmäßig nicht gar zu viele, aber die fallen alle auf, weil wirklich jeder mindestens eine Fahne oder ein Transparent hält. Mich würde nicht wundern, wenn sie (Mitglieder der MLPD) demnächst beidhändig Fahnen und Transparente trügen, dann fielen sie noch mehr auf… Also: alle genannten waren hauptsächlich ältere Genossen, so wie ich und älter, keine Jugend! – Verständlich, so emotionslos, so gleichgültig, wie die sich auf der Demo bewegen, die strahlen ja schon aus, daß sie zum Bäume ausreißen nicht mehr in der Lage sind! – Deren Anteil ist: in Ruhe seitenlange Texte zu verfassen, wer wir sind, was wir wollen, was Marx, Lenin & Co schrieben, um zu bekunden: wir haben sie gelesen (unter „verstehen“ verstehe ich mehr Praxis, weniger Zitate).
Ich sprach mit verschiedenen Leuten von den DKP – ob ihnen bewußt wäre, wie zerspalten die Linken seien, man müsse sich zusammenfinden – Ja, da hast Du recht, ABER… wir haben den Führungsanspruch, wir gehen mit den Inhalten der anderen nicht mit! Auf die neuerlichen Thesen der Parteiführung der DKP regierten alle entschieden ablehnend und winkten ab – das sei doch alle nicht ernst zu nehmen.
Ein anderes Gespräch mit einem Genossen von der „kommunistischen Arbeiterbewegung“ – nein, er rücke von seiner Position nicht ab. er habe mit all den anderen Linken nichts gemein! Ich fragte, ob es nicht an der Zeit wäre, das Verbindende zu sehen und nicht das Trennende stets vorzukehren, denn so erreiche man wahrlich gar nichts? Zumindest schaute er mich auf einmal sehr nachdenklich an und gab mir recht. Nachdenken ist doch schon mal ein Anfang!
Ganz begeistert war ich von einem kurzen Gespräch mit einem griechischen Kommunisten von der KKE! Der war auch nicht mehr der Jüngste, aber der lebte – und wie! Ich sagte zu ihm: „Von Euch können nicht nur die Deutschen einiges Lernen!“ und daß sich die linken Kräfte international vereinen müßten, die Zeit verlange ein agieren über die Grenzen hinaus. Ja klar, wie soll das funktionieren, wenn man sich innerhalb des Landes nicht einig ist?
Natürlich habe ich allen, mit denen ich kurz sprach kleine Flyer von der KI (Kommunistische Initiative) in die Hand gedrückt und gebeten, sie mögen mal auf die Internetseite schauen und drüber nachdenken.
Dadurch, daß bei den vor mir laufenden Demnonstranten viel Leben war, liefen dort ab und an mehr Polizisten nebenher. Immer wieder versuchten Reiter, den Demonstrationszug zu stören – sie ritten mehrmals einfach quer durch die Reihen, von links nach recht, von rechts nach links… Ein Spruch gefiel mr gut, ließ mich direkt lachen: „Reiter auf die Erde, Freiheit für die Pferde!“. So etwas belebt.
Links am Straßenrand standen 5 Polizisten. Urplötzlich griffen sie 2 Reihen vor mir scheinbar wahllos in die Menge und zerrten einen Demonstranten raus (vermutlich einen Griechen oder Türken). Ich begriff gar nicht, was da geschah – der lief die ganze Zeit mit den anderen, Sprechchöre rufend im Demozug. Mein Temperament ging mit mir durch – ich ging zu den Polizisten, fragte recht laut (meine Stimme versagte vor Aufregung), warum sie derart provozieren, der Mann habe doch nichts getan, was das solle, ob sie keinen Bock auf diesen Dienst hätten und jetzt ihren Frust abladen müßten. Ich sprach gegen Menschen aus Stein. Der Mann durfte weitergehen, nachdem seine Personalien aufgenommen wurden.
Am Schloßplatz blieb ich noch bis ca. 12:30 Uhr, ging dann nach Hause. Vom Eierwerfen habe ich leider nichts mehr mitbekommen.
Es ist einfach ein Dilemma, ein linkes politisches Trauerspiel, was derzeit in Deutschland auf dem Spielplan steht. 10,20 oder gar 30 schwache Fingerchen, die alle für sich agieren, alle alleinigen Anspruch erheben, den wahren Sozialismus aufbauen zu wollen, sich ihrer Hand nicht bewußt sind, sonst würden sie sich gemeinsam zur Faust ballen und endlich stark sein.
Sonntag, 13. Juni 2010 17:55
Interessanter Bericht.
Das mit den beiden Jusos ist lustig. – „Der wird mal Kanzler „. Genau. Der Schroeder stand auch als junger Bursche vor dem Kanzleramt und sagte: „Da will ich rein.“ Na, geht doch ! In den 1970er Jahren gab es die Parole vom „Marsch durch die Institutionen“. Durch die sind die schrecklich revolutionaeren „linken“ Sozialdemokraten hindurchmarschiert – und die Institutionen durch sie hindurch. Bis die Schroeders fertig waren. Ich vermute, in dem Gespraech hast Du zwei Jungkarrieristen der naechsten Generation gegenuebergestanden.
Das mit der Zersplitterung sehe ich nicht so negativ. Es gaert eben, und da wirft alles Moeglche Blasen. Das ist am Anfang groesserer politischer Bewegungen normal.In der 68er-Bewegung waren die Grabenkaempfe zwischen den verschiedenen Stroemungen, scheint mir, viel verbissener und engstirniger als jetzt. Die AKTIONSeinheit ist die Hauptsache, und die beiden Demos in Berlin und Stuttgart waren eine praktische Aktionseinheit, bei allen Widerspruechen im Detail und in der Theorie.
Sonntag, 13. Juni 2010 22:36
Liebe Petra,
ich kann mich den Worten von Sepp nicht anschließen(!)Diese „Gaerung“ ist und kann nicht normal sein.2010 ist nicht 1968.
1968 gab es noch zwei unterschiedliche Weltsysteme!!
Erinnere Dich…sie weben und weben……
Wenn unser Volk nicht bald aufwacht- und die bestehenden linken Strömungen im Land sich nicht einigen,einschließlich der internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung….rennen wir in ein kapitalist.-imperialistisches ,fasch.deutsches (europäisches) Chaos!
Danke für den Artikel.Wo ist denn nun unsere gemeinsame polit.Heimat????In unseren Herzen?/!
VENCEREMOS – Petra
PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH -endlich!
Gruß
Karl
NACHTRAG
(Deutschland hat gegen Australien gewonnen,habe es eben im Radio gehört-das lenkt erst einmal wieder ab….dae VOlk jubelt und feiert…..es lebe Großdeutschland)
Ich hasse dieses Deutschland…!wer hilft mir,dieses Land wieder zu lieben……..?
Mittwoch, 16. Juni 2010 21:51
Karl:
Optimismus wollte ich nicht verbreiten, auch die gegenwaertige Lage nicht mit 68 gleichsetzen. Fuer vergleichbat halte ich nur die politische Unklarheit und Widerspruechlichkeit der schwachen Oppositionskraefte. Ich fuerchte wie Du, dass eine Rechtsentwicklung droht, der die Linke in weit schlechterer Verfassung gegenuebersteht als in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.
Was die linken Stroemungen und ihre (mangelnde) Einigung betrifft,ist das wichtig. Aber wenn nicht eine Linksentwicklung viel groesserer Teile der Bevoelkerung gelingt, ist das voellig ungenuegend, um eine rechte Offensive aufzuhalten. Wenn sich z.B. alle, die sich heute in Deutschland als Kommunisten verstehen, (organisatorisch/programatisch) einigen wuerden, waeren damit nicht mehr als allenfalls einige Zehntausend Menschen zusammen. Das waere eine groessere Kraft als die gegenwaertige Splitterlandschaft, aber auch keine, die ohne eine allgemeinere Linksentwicklung die Bourgeoismacht herausfordern oder auch nur eine Rechtsentwicklung stoppen koennte.
So ist es halt. Alles was man tun kann, ist dafuer arbeiten, dass wir es aendern.