mein Studium an der KMU
Wie der Haß auf Partei und sozialistische DDR langsam entstand, bekam ich 2-mal in Leipzig am eigenen Leib zu spüren. Das erste Schlüsselerlebnis schnitt tief in meine Lebensplanung und weitere Entwicklung ein:
1972, nach dem Abi, suchte ich mir einen Studienplatz aus. Ich wollte unbedingt weg von zu Hause, weil ich kein gutes Auskommen mit meinen Eltern hatte. Mein Stiefvater warf mir und meiner Schwester ständig vor, daß wir nicht seine Kinder seien, er schlug uns grundlos, wenn er auf Arbeit oder sonstwo Ärger hatte mußten wir das ausbaden. Wir wurden zu Hause sozusagen eingesperrt, durften nicht mit Freunden raus. Besonders schlimm wirkte sich das aus, als die Klassenkameraden abends ins Kino, am Wochenende zur Disko, mit Freunden auf den Rummel gingen, sich einfach trafen und in den Ferien auch mal gemeinsam zelteten. Das alles blieb mir versagt. Ich hatte nur ein Ziel: Weg von diesem Ort, weit weg von zu Hause und mein eigenes Leben aufbauen! (Ich erwähne das, weil es mich geprägt hatte für den Rest meines Lebens. Diese Kindheit hatte mir mein Selbstwertgefühl zerstört. Ich habe es erst viel, viel später im Berufsleben Schritt für Schritt aufbauen können.) Ich zählte zu denjenigen Abiturienten, die wegen guter Leistungen für ein Studium „besonders geeignet“ waren.
Das Lernen war mir immer leicht gefallen. Bereits mit 4 Jahren konnte ich lesen, bald darauf schreiben und rechnen, ohne daß mir das jemand beigebracht hätte. Wenn meine Schwester, 3 Jahre älter als ich, Hausaufgaben machte, löste ich ihre Aufgaben schneller. Mit 4 Jahren las ich mein erstes Kinderbuch. Mit 7 Jahren gefielen mir Kinderbücher nicht mehr, ich griff zum Kommunistischen Manifest. Das war richtig spannend! Danach fing ich an, das Kapital zu lesen, aber das war dann doch zu schwierig, also legte ich es für viele Jahre zurück in den Bücherschrank. 🙂
Ab dem 3, Schuljahr besuchte ich eine Schule mit erweitertem Sprachunterricht, machte Ende der 10. Klasse in Russisch mein Abitur und Ende der 12. Klasse die Sprachkundigenprüfung IIa.
1971, als ich noch an der EOS war, stellte ich meinen Antrag, in die Partei aufgenommen zu werden. Da war ich sehr hartnäckig und wurde im selben jahr Kandidat der SED. Ich hatte mich für ein Studium der Geschichtswissenschaft an der Karl-Marx-Uni Leipzig entschieden. Zum ersten Mal seit 10 Jahren wurden in der DDR insgesamt 10 Historiker ausgebildet. War ich stolz darauf! Ich selbst faßte dieses Studium als politisches Studium auf. Dann war ich doch sehr überrascht, daß außer mir nur noch ein Kommilitone Genosse war. Ein anderer Kommilitone war Mitglied der LDPD. Insgesamt waren die anderen Kommilitonen, so stellte sich sehr schnell heraus, meist unpolitisch oder gegen die SED und gegen die DDR eingestellt. Mit uns studierten 3 ausländische Kommunisten: eine Finnin, ein Kolumbianer, ein Dominikaner. Gleich zu Studienbeginn wurde ich als Seminargruppensekretärin eingesetzt. – In dieser Seminargruppe alles andere als eine dankbare Aufgabe.
Da ich Russisch bereits die Sprachkundigenprüfung erfolgreich abgelegt hatte, bat ich darum, als Gasthörerin an der Sektion Theoretische und angewandte Sprachwissenschaften meine Russischkenntnisse zu vertiefen. Ich brachte es dabei bis zur Übersetzerin, konnte als Gasthörerin jedoch keine Prüfung ablegen.
Zu Beginn des 2. Studienjahres wurde ich als einzige Studentin meines Studienjahres Hilfsassistentin am Lehrstuhl „Geschichte der KPdSU“, half bei der Übersetzung einer Enzyklopädie vom Russischen ins Deutsche.
In den ersten Wochen des 2. Studienjahres ließ unser Seminargruppenbetreuer, Dr. Z., von mir eine Versammlung einberufen. Die männlichen Studenten wurden angesprochen, sich als Reserveoffiziere zu verpflichten. Dr. Z. leitete diese Versammlung. Er stieß auf heftigsten Widerspruch, selbst ein paar weibliche Studentinnen empörten sich. Erfolglos wurde die Versammlung abgebrochen, bevor sie eskalierte.
Am selben Tag fand anschließend eine Sektionsparteiversammlung statt. Also ging ich gemeinsam mit Dr. Z. dorthin, was, wie ich später erfuhr, mein „Verhängnis“ werden sollte – ich stünde mit ihm unter einer Decke…
Der nächste Tag begann mit einem Seminar zur Urgesellschaft. So, wie ich den Seminarraum betrat und meine Kommilitonen begrüßen wollte, verließen diese geschlossen den Raum. Ich ging zu ihnen raus, um mit zu plaudern, da wandten sich alle von mir ab und gingen wieder rein. Beim dritten Mal begriff ich, was da los war: sie hatten sich alle gegen mich verschworen. Nur konnte ich nicht recht verstehen, warum? Ich hatte zu allen immer ein gutes Verhältnis und auf einmal sprach niemand mehr mit mir? Wenn ich jemanden ansprach drehte die-/derjenige sich weg. Also setzte ich mich und sagte nichts.
Von dem Tag an ging ich allein zu Vorlesungen, Seminaren oder anderen Veranstaltungen, nur Studenten anderer Sektionen oder Seminargruppen redeten mit mir, Ich sprach mit Dr. Z. darüber, aber der lachte nur und tat es als Kinderkram ab. Die Genossen ML/Geschichte unserer Sektion „feierten“ mich als „Partisanin unter Feinden“. Wie ich mich fühlte, muß ich wohl nicht betonen. Ausgerechnet wurde ich im 2. Studienjahr auch noch Mitglied der Sektionsparteileitung! Das verschärfte die Situation noch mehr. Ende des 2. Studienjahres sollten in Berlin die Jugendfestspiele stattfinden. Ich wurde Delegierte und freute mich riesig darauf. Kurz zuvor wurde ich jedoch angesprochen, ob ich auf die Weltfestspielteilnahme verzichten würde, man bräuchte mich als stellvertretende Leiterin des in diesem Jahr in der DDR einzigen internationalen Studentenlagers in Thräna (Nähe Borna). Selbstverständlich verzichtete ich auf Berlin und tat meine Pflicht.
Das dritte Studienjahr begann wie das 2. endete – die Kommilitonen betrachteten mich als politisches Übel der Seminargruppe. Wenigsten erfuhr ich von einer Kommilitonin, S.,: daß, dieses Verhalten mir gegenüber politisch begründet war. – Die Seminargruppe warf mir vor, daß ich in der Partei war, daß ich Hilfsassi war und Mitglied der Sektionsparteileitung, daß ich zu wissenschaftlichen Konferenzen geschickt wurde. Noch dazu durfte ich mit 7 weiteren Studenten einer anderen Seminargruppe nach Kiew und Leningrad fahren, an der Kiewer Uni Vorlesungen hören und ein Seminar besuchen. Diese Kommilitonin, S., warf mir zusätzlich vor: „Du bist immer nur freundlich und hilfsbereit – das kann nicht echt sein.“ – Diesen Satz verstehe ich bis heute nicht!
Ich hatte bald keine Kraft mehr, diesem Druck standzuhalten, wurde ständig krank. Ich bat am Ende des 5. Semesters die Sektionsparteileitung, in den Abbruch meines Studiums einzuwilligen. Die hatten bereits Pläne mit mir, die ich damit durchkreuzte; für mich war es ein äußerst schmerzlicher Entschluß.
4 Jahre später, mein Sohn war bereits geboren und 2 Jahre alt, machten wir Urlaub im Thüringer Wald. An einem Tag besuchten wir das Puppenmuseum in Sonneberg. In der Eingangshalle sah ich die ehemalige Kommilitonin S. stehen, die offensichtlich im Museum arbeitete. Ich rief sie, sie drehte sich weg. Kurz darauf kam sie zu mir, begrüßte mich und sagte verlegen: „Petra, Du begrüßt mich hier so einfach, obwohl wir Dir das alles angetan haben. Ich schäme mich dafür.“
Noch heute schmerzt es mich, daß ich nicht die Kraft hatte, unter diesen Umständen mein Studium abzuschließen.
Das zweite Erlebnis ereignete sich Ende 1986. Ich hatte ein Fernstudium (EDV-Ökonomie) und anschließend die Bezirksparteischule absolviert, (ich hatte wunderbare Kollegen, die mir immer zur Seite standen) und war von meiner fachlichen Tätigkeit als Lehrkraft für internationale Techniker von ESER II Anlagen (unserer großen Rechenanlagen) in die politische Tätigkeit als stellvertretende Parteisekretärin des Robotron-Anlagenbau delegiert worden. Ich hatte mich dagegen gewehrt, was da für „Genossen“ im Parteiapparat wären, dazu wollte ich nicht gehören. Nichtgenossen, mit denen ich darüber sprach, sagten zu mir: „Weil Leute wie Du, die besser wären, diese Arbeit ablehnen, wird sich nie etwas ändern. Mit Dir kann man reden, Du solltest es tun!:“. Das hatte ich mir zu Herzen genommen.
Kurz darauf erzählte mir mein Sohn, damals in der dritten Klasse, seine Klassenkameraden würden ihn stets ärgern, weil ich in der Partei sei. Seine Mitschüler sagten, Honecker würde lügen, und er, mein Sohn, hielte dagegen, daß das nicht stimmt. An einem Tag rief er mich auf Arbeit an, weinte, ich soll nach Hause kommen, die anderen ärgerten ihn, wollten ihn schlagen. Das Ganze hatte dann ein Nachspiel. Die Direktorin der Schule bestellte die betroffenen Schüler und meinen Sohn zu sich. Ich ging hin, die Direktorin, verweigerte mir das Gespräch und den Zutritt und warf mich sehr schroff einfach raus. Eine Nachfrage bei SED-Kreisleitung ergab: man könne mir nicht helfen, die Direktorin sei in einer anderen Partei und würde nur Probleme machen. Man käme dagegen nicht an.
Das sind nur 2 für mich einschneidende Erlebnisse gesellschaftspolitischen Ursprungs, die ich irgendwie ganz allein bewältigen mußte ohne Hilfe zu erhalten. Sie zeigen aber deutlich, daß sich die Konterrevolution nicht unbemerkt quasi über Nacht formierte. Leipzig war die Messestadt. In Leipzig fanden die ersten sogenannten Montagsdemos statt. Leipzig wird heute als „Heldenstadt“ bezeichnet.